Anfang 2017: Die Lage der Flüchtlinge in Deutschland verschlechtert sich erheblich

 

von Manfred Meier (RCIT Deutschland), Februar 2017, www.diekommunisten.net

 

Ein Flüchtlingshelfer berichtet: „Achmad ist seit 2015 in Deutschland. Achmad hat einen Brief vom Gericht bekommen. Er versteht nicht, um was es geht. Soll er wohl auch nicht, er hat kein Recht, gerichtliche Angelegenheiten in seiner Muttersprache zu klären. Dabei spricht er eigentlich schon recht gut Deutsch, er ist jetzt 15 Monate in Deutschland. Aber diesen Brief vom Gericht verstehen auch die meisten deutschsprachigen nicht. Von einem Gesetzesparagraph wird auf den nächsten verwiesen.

Unter den Syrern, Irakern, Afghanen und den Afrikanern, die in der „Erstaufnahmeeinrichtung“ schon seit über einem Jahr leben, herrscht Ungewissheit über die Zukunft. Sehr viele bekommen nur noch den sogenannten „subsidiären“ Schutz. Bedeutet nur Aufenthaltsgewährung für eine begrenzte Zeit, Verweigerung des Familiennachzugs. Das bedeutet eine Aushebelung der „Genfer Flüchtlingskonvention“.

Für viele ist die Perspektive die Abschiebung, sogar in Kriegsgebiete und in Länder, wo ihnen sicher Verfolgung droht. So behaupten CDU-Politiker, auch in Afghanistan könne man sicher leben. Entgegen allen Fakten.

Andere PolitikerInnen behaupten, dass nicht jeder Syrer verfolgt werde. Das ist ein tödlicher Zynismus. Junge syrische Flüchtlinge gelten für das Assad-Regime als Deserteure, deutsche Flüchtlingslage gelten für Assad als Sammelbecken oppositioneller Kräfte. Wenn sie in Syrien in die Hände der Regierung fallen, werden sie bestenfalls sofort als Kanonenfutter der syrischen Armee an die Front geschickt, sie können aber auch direkt an die Wand gestellt werden.

Die Flüchtlinge bekommen sehr gut mit, wie gegen Sie gearbeitet wird. Sie sind stark verunsichert. Aber in ihre Herkunftsländer wollen sie in der gegenwärtigen Situation nicht zurück. Sie suchen eine Zukunft in Deutschland. Aber auf keinen Fall wollen sie in ihre Herkunftsländer abgeschoben werden.

Am 15.12.16, wurde eine etwa 50-köpfige Gruppe von afghanischen Flüchtlingen vom Frankfurter Flughafen aus abgeschoben, begleitet von massiven Protesten von 800 Demonstranten im Terminal. Weitere Abschiebungen werden folgen, da die deutsche Regierung ein „Rückführungsabkommen“ mit Afghanistan abgeschlossen hat, dem viertgefährlichsten Staat der Welt, wo 2016 in Mazar-al–Sharif die deutsche Botschaft teilweise zerstört wurde.

Staatliche Stellen und PolitikerInnen behaupten, es werden nur „straffällige“ Flüchtlinge abgeschoben. Das ist eine dreiste Lüge, da von Abschiebungen sehr viele betroffen werden, die in keiner Weise straffällig geworden sind. Zumal auch eine Straftat nicht automatisch eine Abschiebung bedingt. Aber Ziel ist offensichtlich, hier ganze Gruppen von Flüchtlingen rassistisch zu brandmarken.

Verunsicherung und Bekämpfung der Flüchtlinge

Von Integration ist aber immer weniger die Rede – ganz im Gegenteil, es werden sogar Flüchtlinge abgeschoben, die inzwischen eine Ausbildung angefangen haben.

Wir schaffen das“ war einer der Schlüsselsätze von Angela Merkel, der wohl inzwischen endet mit „alle abzuschieben“. Die CDU hat am 3./4.12 ihren Bundesparteitag abgehalten. Merkel will und soll wieder als Kanzlerkandidatin der CDU antreten. Die CDU hat auf diesem Parteitag deutlich gemacht, dass sie durchaus in der Lage ist, die AfD rechts zu überholen. So überbieten sich CDU-Politiker mit ihren Forderungen nach verstärkten Abschiebungen (oder wie sie es nennen, „Rückführungen“ in sogenannte „sichere Herkunftsländer“). Angela Merkel sagte auf der Bundeskonferenz der Jungen Union davon, dass es einer „nationalen Kraftanstrengung“ bedarf, um die Flüchtlinge wieder abzuschieben.

Die CSU benimmt sich wie die bayrische Schwesterorganisation der AfD und beharrt und „Obergrenzen“, organisiert aber auch Schikanen und Abschiebungen offensiv und hat, auch gegen massiven Widerstand, ein reaktionäres „Integrationsgesetz“ im bayrischen Landtag durchgesetzt.

Eiskalt wird die Verantwortung für die Flüchtlinge auf Griechenland abgewälzt, obwohl die EU ihre personellen und finanziellen Zusagen gegenüber Griechenland kaum eingehalten hat.

Einzig Frontex wurde großzügig mit Geld, Personal und mehr Zugriffsrechten ausgestattet und als europäischer Grenzschutz ausgebaut.

Seit dem Vertrag mit der Türkei dürfen Flüchtlinge, die unter unzumutbaren auf den griechischen Ägäis-Inseln festsitzen, nicht mehr aufs Festland. Die Verhältnisse sind dort menschenunwürdig.

Auf dem Treffen der Griechenland Soli-Komitees im November 2016 wurde berichtet, dass die Lager auf den Inseln total überbelegt sind. Es gibt Angriffe griechischer Faschisten auf die Lager. 60.000 Flüchtlinge sitzen in Griechenland fest.

Durch die winterlichen Verhältnisse Anfang 2017 sind in den Balkanstaaten und in Griechenland Tausende Flüchtlinge lebensgefährlicher Kälte ausgesetzt.

In Deutschland wird vermehrt über „Durchgangslager“, Transitzentren oder Ausreisezentren in Deutschland, aber auch anderen Staaten wie Libyen diskutiert. Solche Lager werden zur Zeit in Bayern auch schon praktiziert, wogegen Tausende in verschiedenen Demonstrationen protestiert haben.

Mit afrikanischen Staaten wurden Abkommen vereinbart, die finanzielle Unterstützung an die Zurückhaltung von Flüchtlingen koppelt.

Gleichzeitig werden militärische Eingriffe ausgebaut, so wird wohl die Zahl der Bundeswehrsoldaten in Mali von ca. 650 auf 1000 erhöht.

Nicht nur dadurch wird deutlich, wie sehr die Flüchtlingspolitik in die expansive imperialistische Politik eingebunden ist

Nach dem Anschlag in Berlin und den Silvesterrazzien in Köln

Nach dem Anschlag auf den Berliner Weihnachtsmarkt wurden zwei Dinge deutlich. Der mutmaßliche Attentäter Amri war schon Monate vorher voll im Radar der Geheimdienste und Sicherheitsbehörden (wie auch die faschistische NSU-Bande).

Nach dem Anschlag setzte sofort eine Debatte um schärfere Gesetze und Ausbaueines „starken Staates“ ein.

Sylvester 2016 hat die Polizei in Köln Tausende festgesetzt und behauptet, sie habe aggressive „Nafris“ (Nordafrikanische Intensivstraftäter) festgesetzt und kontrolliert. Von „mutmaßlich 2000 aus Nordafrika stammenden Männern“ ist die Rede (Quelle: http://www.ksta.de/25535148).

Bilder, die unter den Gekesselten auch einen Familienvater mit Kind zeigten, verschwanden kurz nach der ersten Veröffentlichung.

Nach den rassistisch hinterlegten Razzien Sylvester 2016 in Köln wurde gegen jeden und jede gehetzt, die es wagten, die polizeilichen Maßnahmen als „racial profiling“ zu bezeichnen und sich dagegen verwahrten, ganze Flüchtlingsgruppen als gewalttätige Straftäter zu diffamieren. Dabei sind rassistisch motivierte Kontrollen durch Polizei und Sicherheitskräfte in Zügen, Bahnhöfen usw. schon seit Jahren an der Tagesordnung. Die Feststellung, die Menschen seien aggressiv gewesen, erklärt sich aus ihrer Einkesselung und Behandlung.

Am 13.1. musste die Polizei zugeben, dass von den in Köln festgesetzten Menschen nur ganz wenige aus Nordafrika stammten. (Quelle: http://www.ksta.de/koeln/neue-erkenntnisse-der-polizei-offenbar-kaum-nordafrikaner-zu-silvester-in-koeln-25533064)

Staat, Presse und PolitikerInnen bürgerlicher Parteien versuchen eine Pogromstimmung zu erzeugen

Obwohl die Kriminalität in den letzten Jahren stark zurückgegangen ist, dabei die Straftaten von MigrantInnen sogar überdurchschnittlich, wird von AFD und anderen bürgerlichen PolitikerInnen bei jeder Gelegenheit gehetzt. Dabei fühlen sich nach aktuellen Umfragen 73% der Menschen sicher. Trotzdem wird verstärkt versucht, ein rassistisches Klima in der Bevölkerung herzustellen.

Vom rechten Terrorismus, von den Angriffen auf Flüchtlinge, ist weder in der Neujahrsansprache der Kanzlerin noch in anderen Statements bürgerlicher PolitikerInnen die Rede.

Sowohl die Rechten als auch Teile des Staatsapparates versuchen Migration als Invasion darzustellen.

Längst hat die deutsche Regierung mit ihren Asylpaketen eine Verschärfung in ihrer Politik gegen Flüchtlinge und MigrantInnen durchgesetzt. Dabei behandelt sie Flüchtlingspolitik und Sicherheitspolitik ein eins. De Maiziere und Merkel fordern einen „starken Staat“ in unruhigen Zeiten, wollen Geheimdienste und Polizei stärker zentralisieren, Bundeswehr und Bundespolizei verstärkt im Inland einsetzen. Alle Teile des bürgerlichen Staatsapparats sollen personell und technisch besser ausgestattet werden, wofür Milliarden in die Haushalte eingestellt werden.

Wir wissen aus der Geschichte, dass eine Politik der fortschreitenden Militarisierung unter den Bedingungen einer verschärften imperialistischen Konkurrenz nicht ohne eine Militarisierung der Innenpolitik vor sich geht.

Deutschland: verstärktes Vorgehen der Regierung gegen die MigrantInnen – Gegenwehr aufbauen und opportunistischen Sozialchauvinismus bekämpfen!

Neben AfD und Pegida spielen dabei auch die sogenannten „Antideutschen“ eine nicht zu unterschätzende Rolle bei der Hetze gegen Muslime. (Zu den Angriffen von rechten Rassisten sowie „Antideutschen“ auf unsere österreichische Schwesterorganisation siehe u.a.: https://www.rkob.net/wer-wir-sind-1/rkob-aktiv-bei/fp%C3%B6-parlamentsanfrage-gegen-rkob/) Wir haben auch die Hasstiraden sogenannter FeministInnen wie Alice Schwarzer erlebt. Teilweise wird ein Generalverdacht erhoben gegen alle Menschen aus Ländern, wo der Islam verbreitet ist. Sie gelten als potentielle Gewalttäter, Terroristen, Vergewaltiger usw.

Bei den Grünen gibt es jetzt auf Länderebene, besonders dort wo Grüne in der Regierung sitzen, Zustimmung zu den Abschiebungen von afghanischen Flüchtlingen (die Bundesebene ist da noch nicht ganz so weit)

Wagenknecht (LINKE) biedert sich an AfD an

Mit einer neuen Art Querfrontpolitik versucht sich Sarah Wagenknecht zu profilieren. Sie macht Merkel für die Einwanderung 2015/2016 verantwortlich, fordert Begrenzungen des Zuzugs. Wagenknecht hat dem Stern ein Interview gegeben, in dem sie Bundeskanzlerin und ihre Politik mitverantwortlich für den Terroranschlag von Berlin macht. Merkel habe mit der "unkontrollierten Grenzöffnung" und einem "Kaputtsparen" der Polizei dem Terror den Weg geebnet.

Lob bekam sie dafür schnell von führenden AFD-Politikern. Wagenknecht meint, damit AfD-Wähler für die Linke zurück gewinnen zu können. Beim Thema Sicherheit forderte Wagenknecht mehr Polizei und eine verbesserte Beobachtung von Islamisten durch Verfassungsschutz und Polizei.

Die Aussagen Wagenknechts führen zu schweren Auseinandersetzungen innerhalb der LINKEN. Der Partei-Chef der LINKEN, Bernd Riexinger, hat sich von Wagenknecht, der Spitzenkandidatin der LINKEN für die Bundestagswahl, abgegrenzt. Riexinger will eine Abkehr Wagenknechts von programmatischen Beschlüssen der Partei nicht hinnehmen und „innerparteilich ganz klar kommunizieren“, dass sich auch die Spitzenkandidaten an die Programmatik und die Kernaussagen halten müssen. Wagenknecht bildet mit dem Co-Fraktionschef Bartsch das Spitzenteam für die Bundestagswahl im September.

Viele Linke reden zwar viel über Kampf gegen den Rassismus, scheuen aber zumeist den Gang in die „Niederungen“ konkreter Unterstützungsarbeit und den Kampf gegen Rassismus in den Diskussionen am Arbeitsplatz, in Vereinen, in den Familien usw. Wenn wir nicht hier verankert sind, können wir auch nicht den Kampf gegen die unausweichlichen Abschiebungen in den nächsten Monaten und Jahren führen.

 

Für diesen Kampf brauchen wir Tatsachen, Fakten, Analysen und eine koordinierte Vorgehensweise. Die RCIT ist ein Platz, um diese Aufgaben zu bewältigen, auf der Grundlage diverser Publikationen und programmatischer Schriften. Die RCIT ist aber auch eine Organisation, die es uns ermöglicht, statt aus unserer nationalen Froschperspektive die Dinge aus einer internationalistischen Sichtweise zu sehen uns anzugehen. Das ist ein elementarer Vorteil.

Wir müssen aber auch ganz konkret den Kampf gegen Abschiebungen vor Ort organisieren ebenso wie den gemeinsamen Kampf mit den Flüchtlingen gegen rechte Angriffe.

Dabei wenden wir uns nicht vorwiegend an eine „Linke“, sondern an die vielen, die sich engagieren für Flüchtlinge, ungeachtet ihrer Motive, die ganz verschieden sein können. Wir suchen die Zusammenarbeit mit Organisationen der ImmigrantInnen und an die Flüchtlinge selbst.

Aktionen wie die gegen die Abschiebungen in Frankfurt sind wichtig, ebenso wie die Demos in Bayern, aber sie müssen noch mehr werden und mehr Menschen mobilisieren.

Wir stehen 2017 vor einem wichtigen Jahr im Kampf gegen die reaktionäre Flüchtlingspolitik der Regierung und gegen die Hetze von AfD und Nazis.