Lieber Seebrücke statt Seehofer

 

Bericht von einer Seebrücke-Demo in Kassel am 27.7.2018

 

Nachdem die letzte Demo in Kassel zum Thema Flüchtlinge/Abschiebungen  Ende  Juni nur etwa 50 Menschen zusammenbrachte, sind wir auf die heutige „Seebrücke“-Demo mit gedämpften Erwartungen gekommen. Aber offensichtlich hatte sich die politische Stimmung kräftig verändert.

 

Heute waren fast 2000 Menschen auf der Straße, und wir nahmen an einer der größten Demos in Kassel (knapp über 200 000 EinwohnerInnen) seit 2 Jahrzehnten teil. Und das während der Ferien in Hessen und brütender Hitze in der Innenstadt, locker über 35 Grad.

 

Die Reden waren klar gegen das EU-Grenzregime, gegen Frontex, gegen herrschende Populisten in Italien, für offene Grenzen, gegen Seehofer gerichtet. Gegen SPD und Grüne kam da nichts, auch nichts gegen den Wagenknecht-Flügel in der Linken. Das ist aber auch nicht weiter verwunderlich.

 

Federführend beim Bündnis „Seebrücke“ sind wohl NGO’s  wie  Seawatch, Pro Asyl,  linke Teile der Grünen und der Kasseler Linken. Vereinzelte Mitglieder von SAV und GAM/Revo  sowie MLPD haben wir gesichtet, aber nur wenige.

 

Die Stimmung während der Demo und den Redebeiträgen war sehr emotional, laut und lebendig.

 

Ähnliche Demos des Bündnis „Seebrücke“  fanden auch in Köln und anderen Städte statt, insgesamt fast 40000 TeilnehmerInnnen, die größte in Köln (8000), europaweit waren es noch wesentlich mehr TeilnehmerInnen. Es zeigt sich das gewaltige Potential einer Gegenbewegung zur herrschenden Politik.

 

Wir werden weiter berichten, auch über unser Eingreifen in diese Bewegung.

 

 

 

Aus dem Demo-Aufruf:

 

„Weltweit wurden von der Internationalen Organisation für Migration (IOM) im Jahr 2018 bisher 2.186 Todesfälle von Menschen auf der Flucht dokumentiert, davon ertranken alleine 1.443 bei dem Versuch, das Mittelmeer zu überqueren (Stand: 18.07.2018). Bei diesen Zahlen handelt es sich lediglich um die dokumentierten Todesfälle.

Anstatt sichere Fluchtwege zu schaffen und für menschenrechtskonforme Seenotrettung zu sorgen, zieht sich Europa – und vorrangig auch Deutschland – aus der Verantwortung und hat sogar die Seenotrettung Ehrenamtlichen überlassen. Gleichzeitig finanziert und bildet Europa die sogenannte libysche Küstenwache aus, die nachweislich eklatante Menschenrechtsverletzungen begeht und das Sterben von Flüchtenden im Mittelmeer nicht nur billigt, sondern forciert.

Während in Deutschland und anderen EU-Mitgliedsstaaten über „Obergrenzen“ diskutiert wird, verlagert die EU die Außengrenzen nach Nord- und Mittelafrika und versucht damit, zynisch die Verantwortung an Nicht-EU-Länder zu delegieren und damit andere Verantwortliche für das Sterben zu finden. Die Diskussion über die „Beseitigung von Fluchtursachen“ gerät allerdings gerade in einem Rüstungsstandort wie Kassel zur Farce. Die EU und damit auch Deutschland tragen direkt dazu bei, dass sich nach wie vor Menschen auf den gefährlichen Weg über das Mittelmeer machen müssen!

Der zunehmende europäische Rechtsruck in den letzten Jahren hat für Flüchtende direkte Konsequenzen: nicht nur, dass das Schaffen sicherer Fluchtwege ausbleibt. Überdies wird die Arbeit der ehrenamtlichen Seenotretter*innen nicht nur verhindert, sondern kriminalisiert. Dies hat die bittere und von demokratischen Staaten legitimierte Konsequenz, dass hunderte von Menschen in den letzten Wochen sterben mussten, bei dem Versuch, einen sicheren Ort zum Leben zu finden. Bereit zum Auslaufen müssen die NGOs unter Androhung von Sanktionen hierbei zusehen.

Die Kriminalisierung ziviler Seenotrettung begann im August 2017 mit der Beschlagnahmung der Iuventa und der Ermittlung gegen den dazugehörigen Verein. Im Juni 2018 wurde dem Rettungsschiff Seefuchs die niederländische Flagge aberkannt, sodass es einen Rettungseinsatz vor der libyschen Küste abbrechen musste. Dem Rettungsschiff Lifeline wurde nach der Rettung von mehr als 230 Flüchtenden tagelang die Einfahrt in europäische Häfen verweigert, anschließend wurde das Schiff beschlagnahmt und Anklage gegen den Kapitän erhoben. Die Sea-Watch 3 bekommt seit 01.07.2018 aus politischen Gründen keine Genehmigung mehr auszulaufen. Von den Schiffen und Flugzeugen deutscher Hilfsorganisationen, die für die Rettung flüchtender Menschen im Mittelmeer eingesetzt wurden, kann seit Anfang Juli keines mehr auslaufen bzw. starten. Zum ersten Mal seit Jahren können die Hilfsorganisationen keine Menschen vor dem Ertrinken retten und die Situation im Mittelmeer nicht mehr dokumentieren.

Solange es Krieg, Folter, Verfolgung und Armut gibt, werden Menschen davor flüchten. In diesen Minuten, Stunden und Tagen laufen weiterhin Boote aus afrikanischen Häfen aus und die Menschen darauf werden keine Hilfe erhalten. Wir werden nicht hinnehmen, dass aufgrund von EU-Politiken Geschwister, Eltern, Freund*innen, Kinder wie Erwachsene unbemerkt im Meer ertrinken und vergessen werden.

Free Iuventa!

Für sichere Fluchtrouten!

Seenotrettung und Flucht sind kein Verbrechen!“