Zwei bemerkenswerte Dokumente der ex-trotzkistischen L5I
Ein Kommentar von Michael Pröbsting, Revolutionär-Kommunistische Internationale Tendenz, 25 April 2017, www.thecommunists.net
Kürzlich veröffentlichte die "Liga für die Fünfte Internationale" (in Deutschland: ArbeiterInnenmacht, in Österreich: Arbeiter*innenstandpunkt) zwei Kommentare. Der eine ist eine Stellungnahme ihrer schwedischen Sektion zu dem LKW-Anschlag in Stockholm. (1) In der anderen nehmen ihre britischen GenossInnen Stellung zu den geplanten Neuwahlen im Juni dieses Jahres. (2)
Die zeitliche Nähe der beiden Kommentare ist natürlich zufällig. Nichtsdestotrotz bringen sie den hemmungslosen Rechtsruck, den diese Organisation in den letzten Jahren vollzogen hat, symbolisch auf den Punkt.
Die Stellungnahme der schwedischen LFI-Sektion ist eine Art Zwergen-1914. Bekanntlich starben in Stockholm am 7. April 2017 vier Menschen bei einem Anschlag durch einen mutmaßlichen Daesh-Sympathisanten. Wie in ähnlichen Fällen verurteilt die RCIT solche gegen unschuldige Zivilisten gerichteten reaktionäre Attacken und betont, daß die imperialistischen Kriegsoffensive im Nahen Osten sowie die rassistische Unterdrückung der Migranten und insbesondere der Muslime in Europa die Hauptursachen für solche tragischen Ereignisse sind. (3)
Im Unterschied zu einer solchen prinzipienfesten marxistischen Haltung bricht die schwedische L5I-Gruppe jedoch komplett ein angesichts der hysterischen islamophoben Offensive der bürgerlichen Medien. So sieht die L5I-Sektion den Anschlag als Beleg für "den faschistische Charakter des Islamismus" und bezeichnet diesen als Ganzes als "faschistische Bewegung mit religiösen Charakter"! Damit plappert die L5I den gleichen reaktionären Unsinn nach wie die islamophoben liberalen, stalinistischen und sozialdemokratischen Parteien. Diese Kräfte erweisen sich schon seit langen als sozial-imperialistische Wasserträger der herrschenden Klassen aller Großmächte, indem sie den Islamismus als "faschistische Barbarei" verteufeln, um so die blutigen Kolonialkriege im Nahen Osten und in Afrika sowie die brutale Unterdrückung der Tschetschenen, der Uiguren oder auch der Migranten in Europa zu rechtfertigen.
Doch die schwedische L5I-Sektion geht noch weiter. Sie kritisiert die Linke und die Arbeiterbewegung dafür, daß sie bislang nicht entschlossen genug gegen die Islamisten vorging! So schreiben sie: "Anstatt den Islamisten ihre Räume zu gewähren, muß die Linke aktiv gegen sie mobilisieren, etwas was schon seit langem hätte gemacht werden sollen."
In einer Zeit, wo tausende Muslime in Europe vor Gericht gezerrt und eingesperrt werden, wo die Rassisten und Faschisten den Islam als Hauptgefahr für Europa denunzieren, wo muslimischen Frauen zunehmend das Tragen einer religiöser Kopfbedeckungen verboten wird, in einer Zeit, wo in Europa die Hauptaufgabe in der Verteidigung der Muslime gegen diese Unterdrückung besteht (und das bedeutet auch die Verteidigung von demokratischen Rechten für Islamisten), in einer solchen Zeit bläst die LFI zur "aktiven Mobilisierung" … gegen die Islamisten!
Früher, als die LFI noch eine revolutionäre Organisation war, lehnten wir eine Gleichsetzung aller Strömungen des Islamismus als "faschistisch" vehement ab. (4) Während wir natürlich den Islamismus – ebenso wie den Castro-Chavismus, den Stalinismus usw. – kritisieren, erkennen wir seinen widersprüchlichen Charakter. Daher haben wir immer auf die verschiedenen, unterschiedlichen bürgerlichen und kleinbürgerlichen Strömungen innerhalb dieses Lagers hingewiesen. Darunter befinden sich sowohl solche, die an der Spitze von gerechten Befreiungskämpfen stehen (oft nationalen oder anti-diktatorischen Widerstandsbewegungen) als auch solche, die eine offen reaktionäre Rolle spielen (z.B. bürgerliche theokratische Diktaturen wie in Saudi-Arabien oder der Türkei, konterevolutionäre Kräfte wie Daesh). Eine solche Analyse hat die RCIT bis zum heutigen Tag verteidigt und weiterentwickelt. (5)
Doch seit dem Ausschluß der Gründungskader der RCIT durch die Mehrheit der L5I-Führung im April 2011 hat diese Gruppe eine dramatische Rechtswende vollzogen. (6) Das Ergebnis ist ein ständiges Zurückweichen vor dem ideologischen Druck des Imperialismus. Daher reichen ein paar Tote in Stockholm aus, damit die schwedische L5I-Sektion vor dem ideologischen Druck der hysterischen imperialistischen Presse erliegt und ihr Zwergen-1914 erlebt.
Auch die britischen Mitstreiter der L5I – früher hießen sie Workers Power, heute haben sie sich in die Labour Party aufgelöst und sind nur noch ein Herausgeberkreis der Zeitschrift Red Flag – passen sich rasant an den Reformismus an. In ihrer offiziellen Stellungnahme zu den geplanten Neuwahlen im Juni legen sie eine Art Kurzprogramm dar. Dieses faßt das politische Zurückweichen dieser Gruppe vor dem revolutionären Marxismus recht gut zusammen. Eine Unterstützung der Widerstandskämpfe gegen die imperialistischen Großmächte im Nahen Osten und Afrika, ein Aufruf, daß die Labour endlich den rechten Flügel um Tony Blair aus der Partei werfen sollte, ja selbst die Losung einer Arbeiterregierung sucht man in diesem "Programm" wieder einmal vergebens.
Aber das Bemerkenswerteste an dieser Erklärung ist jedoch etwas anderes. Deutlicher als je zuvor spricht die britische L5I-Gruppe die Konsequenz ihres radikalen Rechtsrucks im vergangenen Jahr in der EU-Frage aus. Wie wir bereits an anderer Stelle darlegten, haben die LFI in ihrer revolutionären Zeit und die RCIT auch heute noch immer den Standpunkt vertreten, daß revolutionäre Marxisten weder den imperialistischen Nationalstaat (z.B. Britannien, Deutschland, Österreich) noch die imperialistische EU unterstützen können. Daher ist es unsere traditionelle Position, daß wir bei entsprechenden Volksabstimmungen weder für noch gegen einen Beitritt (bzw. Austritt) stimmen, sondern für einen unabhängigen Klassenstandpunkt eintreten.
Letztes Jahr brach die L5I mit dieser jahrzehntelangen Tradition und ruft nun für die Mitgliedschaft als einen angeblichen Schritt in Richtung Entwicklung der Produktivkräfte und der sozialistischen Vereinigung Europas auf. Wir wollen an dieser Stelle nicht noch einmal unsere Kritik an diesem abstrusen Bauchfleck vor dem europäischen Sozialdemokratie und damit dem EU-Imperialismus wiederholen und verweisen die interessierten Leserinnen und Leser auf unsere entsprechenden Publikationen. (7)
An dieser Stelle wollen wir nur auf die konsequente Krönung dieser pro-EU Rechtswende in der jüngsten Stellungnahme der britischen L5I-Gruppe hinweisen. So ruft Red Flag in ihrer Stellungnahme nicht nur zum Kampf gegen den Brexit auf, sondern tritt offen für den imperialistischen Binnenmarkt der EU ein! So fordert die L5I-Gruppe von der Labour Party wortwörtlich das "Eintreten für die Mitgliedschaft im Binnenmarkt" und, an anderer Stelle noch einmal, die "Verteidigung des Binnenmarktes"! Besser kann man den sozial-imperialistischen Bauchfleck der ex-trotzkistischen L5I nicht auf den Punkt bringen!
Die "Verteidigung des Binnenmarktes" – das ist das Anliegen der Liberalen und Sozialdemokraten. Doch das sogenannte "Trotzkisten" jetzt auch den Binnenmarkt auf ihre Fahne schreiben ist zwar durchaus konsequent in der Logik der L5I, zeigt aber auch die völlige ideologische Orientierungslosigkeit dieser Gruppe.
Die Tatsache, daß weder die schwedische noch die britische Stellungnahme bislang eine öffentliche Zurückweisung durch die L5I erfuhr, zeigt, wie klein und unbedeutend (so überhaupt existent) die Anzahl der wirklichen Marxisten in dieser Organisation geworden ist. Die L5I ist offensichtlich zu ordinären Markt-Marxisten verkommen!
Fußnoten:
(1) Condemn the terror attacks in Stockholm: fight terrorism and imperialism, 2017-04-08, https://www.arbetarmakt.com/2017/04/stockholm-terror/
(2) Britain: Labour must turn Left to spike May’s plans, 19/04/2017, http://www.fifthinternational.org/content/britain-labour-must-turn-left-spike-may%E2%80%99s-plans
(3) Siehe z.B. RCIT: Der Terror in Paris ist das Ergebnis des imperialistischen Terrors im Nahen Osten! 14.11.2015, https://www.thecommunists.net/home/deutsch/terror-in-paris/
(4) Siehe z.B. Michael Pröbsting and Simon Hardy: Theses on Islamism, https://www.thecommunists.net/theory/theses-on-islamism/
(5) Siehe u.a. Yossi Schwartz: The Marxist View of Religion in General and Islam in Particular, https://www.thecommunists.net/theory/marxism-and-islam/; ISL: Islam, Islamism and the Struggle for Revolution, https://www.thecommunists.net/theory/islam-and-revolution/; RCIT: The Revolutionary Struggle against Daesh and the Imperialist Aggression in the Middle East, https://www.thecommunists.net/theory/resolution-daesh/; RCIT: Frankreich nach den Attentaten in Paris: Verteidigt die Moslems gegen imperialistischen Krieg, chauvinistische Hetze und staatliche Unterdrückung, https://www.thecommunists.net/home/deutsch/paris-attacks/
(6) Die RCIT hat die zentristischen Degeneration der L5I in verschiedenen Dokumenten dargelegt. Siehe dazu u.a. Michael Pröbsting: Die GAM/L5I und die Europäische Union: Eine Rechtswende weg vom Marxismus, August 2016, https://www.thecommunists.net/home/deutsch/l5i-brexit/; Manfred Meier: Nachbeben des Brexit - Zur Rechtswende von GAM/L5I: das „JA“ zum Verbleib in der EU, August 2016, http://www.thecommunists.net/home/deutsch/gam-brexit/; RCIT: Where is the LFI drifting? A Letter from the RCIT to the LFI comrades, 11.5.2012, http://www.thecommunists.net/theory/centrist-degeneration-of-lfi/; Zur Geschichte der RCIT sowie der L5I siehe unser Buch von Michael Pröbsting: Revolutionärer Parteiaufbau in Theorie und Praxis. Rück- und Ausblick nach 25 Jahren organisierten Kampfes für den Bolschewismus, Dezember 2014, http://www.thecommunists.net/home/deutsch/rcit-revolutionare-partei/
(7) In der vorherigen Fußnote finden sich die beiden Dokumente der RCIT, in der wir uns kritisch mit diesem Positionswandel auseinandersetzten.