Offener Brief: Bereitet euch vor auf eine neue Ära von Sturm und Drang!

 

Palästina, Myanmar, Kolumbien, Afghanistan, ... - Volksaufstände und Kriege eröffnen eine neue Phase des weltweiten Klassenkampfes

 

Ein Offener Brief an Sozialistinnen und Sozialisten vom Verbindungskomitee der Revolutionär-Kommunistischen Internationalen Tendenz (RCIT) und Convergencia Socialista (Argentinien), 31. Mai 2021, https://convergenciadecombate.blogspot.com/ und www.thecommunists.net

 

 

 

Genossinnen und Genossen, Brüder und Schwestern!

 

Wir befinden uns mitten in einem Wendepunkt der Weltlage. Der zionistische Staat hat durch seine gnadenlose Politik der brutalen Aggression und des Aushungerns in Al-Quds/Jerusalem, in der Al-Aqsa-Moschee, in Gaza und allen anderen Teilen des historischen Palästinas die Dritte Intifada des palästinensischen Volkes provoziert. Diese neue Einheit des Kampfes der unterdrückten Massen wurde in einem historischen Generalstreik am 18. Mai symbolisiert, der in allen Teilen des Landes stattfand - von Jerusalem bis Jenin, von Hebron bis Haifa und von Ramallah bis Lydda. Israels Versuch, den palästinensischen Widerstand in Gaza zu zerschlagen, endete in einer gigantischen politischen Niederlage - zum vierten Mal seit 2008/09. Vor diesem Hintergrund ist eine mächtige internationale Solidaritätsbewegung entstanden - die zum Boykott Israels, zur Ausweisung seiner Botschafter und zur Verfolgung der Kriegsverbrechen Netanjahus aufruft. Der zionistische Staat ist heute schwächer, innerlich gespaltener und international isolierter denn je!

 

Es ist offensichtlich, dass die palästinensische Intifada Hand in Hand mit den anhaltenden Massenkämpfen im Nahen Osten geht - und diese inspiriert. Der andauernde Befreiungskampf in Syrien gegen die Tyrannei von Assad, der bereits mehr als ein Jahrzehnt andauert, die Massenmobilisierungen im Irak, Libanon, Jordanien, Algerien und Oman in den letzten Wochen - all das spiegelt die Tatsache wider, dass der Prozess der Arabischen Revolution entgegen den Behauptungen von Verrätern und Schwachköpfen immer noch lebendig ist und pulsiert! Tatsächlich geht der Nahe Osten schwanger mit einer vereinten Intifada im Maghreb und Maschrek - von Al-Quds bis Algier, von Bagdad bis Beirut, von Kairo bis Casablanca und von Idlib bis Istanbul und Isfahan!

 

Die palästinensische Intifada und die Arabische Revolution sind keine isolierten Phänomene, sondern Teil einer globalen Welle von revolutionären Kämpfen. Der heldenhafte Volksaufstand in Burma-Myanmar gegen den Militärputsch am 1. Februar ist eine weitere Leuchtfackel der revolutionären Offensive der Massen. Trotz drakonischer Repression durch die Junta - mehr als 800 Demonstranten wurden bereits getötet und Tausende verhaftet - kämpfen die Massen nicht nur weiter, sondern vertiefen ihren Organisationsgrad in Volksversammlungen und bewaffneten Milizen! Dieser Volksaufstand im Herzen Süd- und Ostasiens, der sich jetzt in einen revolutionären Bürgerkrieg verwandelt, wird andere wichtige laufende Klassenkämpfe in der Region stärken und anregen - wie z.B. die Massenmobilisierungen in Thailand, den "Dilli Chalo"-Aufstand der armen Bauern Indiens, den Befreiungskampf des unterdrückten Volkes in Kaschmir oder den demokratischen Massenwiderstand in Hongkong gegen die stalinistisch-kapitalistische Diktatur.

 

Ebenso spiegelt der Volksaufstand in Kolumbien gegen das korrupte und kriminelle Duque-Regime den massiven Aufschwung des Klassenkampfes in Lateinamerika wider. Auch hier haben sich die Massen in Volksversammlungen organisiert und Selbstverteidigungseinheiten gebildet, um gegen die brutalen Repressionskräfte zurückzuschlagen. Die anhaltenden Massenproteste in Chile, die brodelnden Spannungen in Brasilien und Argentinien - all diese Entwicklungen spiegeln wider, dass Lateinamerika, das im Herbst 2019 bereits eine Reihe von Volksaufständen in mehreren Ländern erlebt hat, zu einem potenziellen politischen Vulkan geworden ist.

 

Israels Niederlage im Vierten Gaza-Krieg ist auch deshalb von globaler Bedeutung, weil sie eine grundlegende Verschiebung in der Weltpolitik widerspiegelt: den historischen Niedergang des US-Imperialismus - seines wichtigsten Förderers und des langjährigen Hegemons der imperialistischen Weltordnung. Dieser Prozess spiegelt sich auch in der Niederlage Washingtons in Afghanistan wider - mit dem Ergebnis des Abzugs aller US- und NATO-Truppen nach 20 Jahren bewaffneter Rebellion gegen die ausländische Besatzung. Eine ähnliche Entwicklung sehen wir im Irak, wo das Pentagon angesichts des wachsenden Volkswiderstands ebenfalls seinen Rückzug vorbereitet. Ebenso mussten die USA kürzlich ihre Truppen aus Somalia abziehen, nachdem es ihnen nicht gelungen war, den bewaffneten Volkswiderstand in dem ostafrikanischen Land zu besiegen.

 

Der Niedergang der USA spiegelt den Verfall des Systems wider, dessen Hegemon sie seit Jahrzehnten sind - des globalen Kapitalismus. Angesichts der schlimmsten Depression seit 1929 bleibt die kapitalistische Weltwirtschaft in einer langfristigen Periode der Stagnation und des Zusammenbruchs gefangen.

 

Dieser Zerfall geht Hand in Hand mit der tiefen Krise der imperialistischen Weltordnung. Während die Dominanz ihres langjährigen Hegemons - der USA - unaufhaltsam zerbröckelt, steigen andere imperialistische Großmächte auf. Das zeigt sich an der wachsenden politischen, wirtschaftlichen und militärischen Rolle der Europäischen Union, Chinas, Russlands und Japans. Infolgedessen beschleunigt sich die Rivalität zwischen diesen Großmächten bzw. ihren Stellvertretern unweigerlich - und provoziert Sanktionen, globale Handelskriege und militärische Spannungen.

 

Es ist nur logisch, dass die herrschende Klasse überall auf der Welt - angesichts eines Aufschwungs von Massenkämpfen inmitten des Zerfalls ihrer Gesellschaftsformation - mit einer beispiellosen konterrevolutionären Offensive reagiert. Sie versuchen, ihre Macht durch eine Austeritätspolitik und eine Hinwendung zum chauvinistischen Staatsbonapartismus zu konsolidieren, d.h. die grundlegendsten demokratischen Rechte anzugreifen, Rassismus und Chauvinismus anzuheizen und den repressiven Staatsapparat zu stärken. Die herrschende Klasse benutzt die COVID-19-Pandemie als Vorwand, um eine solche unerbittliche konterrevolutionäre Offensive zu fördern. Im Gegensatz zu ihren Behauptungen dient die Politik des Lockdowns und der Ausgangssperren für die gesamte Bevölkerung nicht der Volksgesundheit, sondern den machtpolitischen Interessen der herrschenden Elite und der Profitgier der Kapitalisten.

 

Genossinnen und Genossen, Brüder und Schwestern!

 

Dies sind, in sehr komprimierter Form, die Hauptachsen der Widersprüche der gegenwärtigen Weltlage, wie wir sie im Verbindungskomitee der Revolutionär-Kommunistischen Internationalen Tendenz (RCIT) und Convergencia Socialista (Argentinien) sehen. Es ist offensichtlich, dass wir am Beginn einer neuen Ära des Sturms und Drangs stehen!

 

Wir sind zutiefst davon überzeugt, dass an Sozialistinnen und Sozialisten in diesen Kämpfen und Konflikten nur dann eine fortschrittliche Rolle spielen können, wenn sie eine richtige Orientierung finden und für ein Kampfprogramm eintreten, das sich gegen alle Fraktionen der Bourgeoisie und gegen alle Großmächte richtet.

 

Tatsächlich aber haben große Teile der sogenannten Linken - während sie in Worten an den Prinzipien des Sozialismus festhalten - in den letzten Jahren bei den wichtigsten Prüfungen des Klassenkampfes und der Weltpolitik dramatisch versagt. Um nur ein paar Beispiele zu nennen.

 

Die Stalinisten und verschiedene Pseudotrotzkisten (wie LIT-CI, Alan Woods' IMT oder die RS/IST in der Tradition von Tony Cliff) bejubelten den Militärputsch von Ägyptens General Sisi im Juli 2013, der eine brutale Diktatur im Dienste des Imperialismus errichtete.

 

Ebenso verleumdeten zahlreiche Stalinisten und Bolivarianisten die heldenhafte syrische Revolution von Anfang an als ein CIA-Komplott, stellten sich auf die Seite der Assad-Tyrannei und bejubelten die militärische Intervention Russlands und des Iran. Pseudotrotzkisten wie PTS/FT, Peter Taaffes CWI, ISA, SWP/IST usw. stellten ihre Unterstützung für den Volksaufstand bald nach dessen Beginn ein und ließen den laufenden Befreiungskampf im Stich.

 

In den vergangenen Jahren haben viele linke Parteien (kritisch oder auch nicht so kritisch) sogenannte "sozialistische" Regierungen wie die Regime von Ortega in Nicaragua, von Maduro in Venezuela oder SYRIZA in Griechenland unterstützt. Tatsächlich haben diese Regime nichts mit Sozialismus zu tun, sondern stellen eher Volksfrontregierungen dar, die die kapitalistische Ausbeutung verwalten. Tatsächlich stellen sie in verschiedenen Fällen (staats-)kapitalistische bonapartistische Regime dar, die die Proteste des Volkes brutal unterdrücken, da der Zerfall des Kapitalismus ihnen keinen Raum für irgendwelche Zugeständnisse an die Massen lässt. Heute, da die Massen viele Kämpfe gegen die herrschende Klasse führen, sind bürgerliche "links"-populistische Parteien (z.B. der Kirchnerismus in Argentinien) wieder auf dem Vormarsch. Beschämenderweise passen sich große Teile der "linken" Parteien opportunistisch an diese Volksfrontformationen an.

 

In der Arena der Weltpolitik stellen sich große Teile der reformistischen Linken auf die Seite der einen oder anderen imperialistischen Großmächte. Die europäischen post-stalinistischen Parteien sind treue Diener "ihrer" imperialistischen Bourgeoisie - egal ob sie in der Regierung (z. B. SYRIZA in Griechenland, PODEMOS, IU und PCE in Spanien, PCF in Frankreich) oder in der parlamentarischen Opposition sind. Andere stalinistische und bolivarische Parteien (z.B. in Südafrika, Venezuela, Kuba, Brasilien) befürworten die Zusammenarbeit mit dem russischen und chinesischen Imperialismus. Die argentinische PO - sowohl die Altamira als auch die Anti-Altamira-Fraktion - stehen für eine ähnliche Herangehensweise. Folglich lehnen diese Parteien nur die Intervention des US-Imperialismus im Nahen Osten ab, nicht aber die seiner russischen und chinesischen Rivalen. Kurz gesagt, diese Parteien dienen als sozial-imperialistische Unterstützer der einen oder anderen Großmacht. Verschiedene Pseudotrotzkisten wie PTS/FT, LIT-CI, IMT, CWI usw. gehen nicht so weit, aber trotzdem weigern sie sich, China und Russland als imperialistisch zu bezeichnen. Damit öffnen sie den Weg zur sozial-imperialistischen Kapitulation.

 

Die COVID-19-Konterrevolution seit dem Frühjahr 2020 hat eine noch verheerendere Reaktion unter der sogenannten Linken hervorgerufen. Fast alle von ihnen - ob als Regierungs- oder Oppositionspartei, ob groß oder klein - haben vor der anti-demokratischen Offensive der herrschenden Klasse kapituliert und unterstützen die Lockdown-Politik. Damit hat sich die Linke objektiv als Steigbügelhalterin der herrschenden Klasse betätigt, die seitdem den Polizei- und Überwachungsstaat massiv ausgebaut hat.

 

Genossinnen und Genossen, Brüder und Schwestern!

 

Dies soll uns eine Warnung sein! Eine solche verräterische Linke ist nur nützlich für die eine oder andere Fraktion der Bourgeoisie, für die eine oder andere imperialistische Großmacht, aber sie ist nutzlos für die Arbeiter und Unterdrückten. Sie kann der Avantgarde keine Orientierung und kein Kampfprogramm geben. Eine solche opportunistische Linke ist nur daran interessiert, ein paar Sitze im Parlament zu gewinnen oder irgendeine Position innerhalb des bürokratischen Apparats der Gewerkschaften und Volksorganisationen zu bekommen.

 

Niemand sollte sich Illusionen machen: Die alte Linke ist unverbesserlich vergiftet durch die Politik des Opportunismus, des Elektoralismus, der Anpassung an Teile der Bourgeoisie und der Großmächte, der Orientierung auf die privilegierten Sektoren der Mittelklasse, der Arbeiteraristokratie und des bürokratischen Apparats. Diese alte Linke ist Teil des Problems, nicht der Lösung!

 

Alle aufrichtigen sozialistischen Organisationen und Aktivisten müssen entschlossen mit einer solchen ohnmächtigen Politik der Niederlage und Degeneration brechen und sich stattdessen dem Weg des unnachgiebigen Kampfes zuwenden. Es gibt nur einen Weg nach vorn, und der erfordert einen entschiedenen Bruch mit allem, was alt und verrottet ist!

 

Genossinnen und Genossen, Brüder und Schwestern!

 

Wir brauchen etwas anderes als die alte opportunistische Linke!

 

Wir brauchen eine neue Partei, die die Kämpfe der Arbeiter und Unterdrückten unterstützt, anstatt sich auf die Seite reaktionärer Diktaturen zu stellen.

 

Wir brauchen eine neue Partei, die sich für die Schaffung Räte-ähnlicher Doppelmachtorgane einsetzt. Solche Organe sind entscheidend, damit die Arbeiterklasse und die Volksmassen nicht nur ihre Aufstände organisieren können, sondern auch über demokratische Instrumente verfügen, die - nach dem Sturz des kapitalistischen Regimes - zu Institutionen der neuen Arbeiterstaaten werden und den Weg zum Sozialismus eröffnen.

 

Wir brauchen eine neue Partei, die sich für die Bildung von Selbstverteidigungseinheiten und Milizen einsetzt. Solche bewaffneten Organisationen der Massen sind die einzige Möglichkeit, sich gegen die konterrevolutionäre Offensive der herrschenden Klasse zu wehren, die sich zunehmend repressiven oder bonapartistischen Regimen zuwendet (z. B. in Kolumbien und Myanmar).

 

Wir brauchen eine neue Partei, die gegen alle Teile der Kapitalistenklasse kämpft, anstatt ihre anti-demokratische Politik zu unterstützen.

 

Wir brauchen eine neue Partei, die gegen alle imperialistischen Großmächte kämpft, anstatt die eine oder andere zu unterstützen.

 

Wir brauchen eine neue Partei, die die Massen vor der Falle von Volksfrontparteien und -regierungen warnt, da solche Kräfte nur der herrschenden Klasse und der einen oder anderen imperialistischen Großmacht dienen. Stattdessen muss eine solche neue Partei danach streben, die Arbeiter und Unterdrückten von solchen Volksfronten wegzubrechen und sie unabhängig für den Kampf für den Sozialismus zu organisieren.

 

Wir brauchen eine neue Partei, die die bewusstesten und kämpferischsten Teile der Avantgarde versammelt, diejenigen, die an der vordersten Front im Klassenkampf stehen.

 

Wir brauchen eine neue Partei, die sich nicht an den Oberschichten und dem bürokratischen Apparat orientiert, sondern an den breiten Massen, die trotz aller täglichen Misere und Unterdrückung für ihre Interessen kämpfen.

 

Wir brauchen eine neue Partei, die für das Programm der internationalen sozialistischen Revolution und die Errichtung von Arbeiter- und Volksregierungen auf allen Kontinenten kämpft.

 

Eine solche Partei muss sowohl auf nationaler als auch auf internationaler Ebene existieren.

 

Genossinnen und Genossen, Brüder und Schwestern!

 

Eine solche Partei gibt es noch nicht. Sie wird nicht vom Himmel fallen. Sie muss aufgebaut werden. Wartet nicht darauf, dass andere es tun. Lasst es uns selbst tun - gemeinsam! Das wird zwar einige Zeit brauchen, denn man kann eine Partei nicht in sieben Tagen aufbauen. Aber es ist machbar, und wir müssen jetzt beginnen, gemeinsam für dieses Ziel zu arbeiten!

 

Wenn ihr die Grundlinien dieses Offenen Briefes teilt, schlagen wir euch vor, sich dem Verbindungskomitee der Convergencia Socialista und der Revolutionär-Kommunistischen Internationalen Tendenz anzuschließen, um den Kampf zum Aufbau einer Revolutionären Weltpartei voranzutreiben!

 

Genossinnen und Genossen, Brüder und Schwestern! Zögert nicht! Wenn ihr bereit seid, für eine sozialistische Welt ohne Ausbeutung und Unterdrückung zu kämpfen - euer Platz ist in unseren Reihen!

 


 

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Wir verweisen die Leser auf zahlreiche gemeinsame Dokumente des Verbindungskomitees der Revolutionär-Kommunistischen Internationalen Tendenz und Convergencia Socialista. Siehe zum Beispiel:

 

Krieg und Intifada in Palästina: Ein Wendepunkt in der Weltlage, 22. Mai 2021, https://www.thecommunists.net/worldwide/global/war-and-intifada-in-palestine-a-turning-point-in-the-world-situation/#anker_4

 

Siehe auch mehrere gemeinsame Dokumente zum Vierten Gaza-Krieg, die auf einer speziellen Unterseite auf der RCIT-Website zusammengestellt wurden: https://www.thecommunists.net/worldwide/africa-and-middle-east/collection-of-articles-on-fourth-gaza-war/ bzw. zu finden unter https://convergenciadecombate.blogspot.com/

 

Siehe auch: Myanmar: Internationale Solidarität mit dem Volksaufstand! 6. Mai 2021, https://www.thecommunists.net/worldwide/asia/myanmar-international-solidarity-with-popular-uprising/#anker_4