Nieder mit allen Großmächten und ihren Stellvertretern! Für eine unabhängige und sozialistische Ukraine!

 

 

Erklärung der Revolutionär-Kommunistischen Internationalen Tendenz (RCIT), 29. Januar 2022, www.thecommunists.net

 

 

 

 

 

 

 

1.            Die derzeitige Krise zwischen der NATO und Russland birgt in sich die Gefahr eines Krieges - entweder direkt zwischen den imperialistischen Großmächten oder indirekt zwischen ihren Stellvertretern in der Ukraine. Es liegt in der Natur der Sache, dass dies ein Hauptthema der aktuellen Weltlage ist. Daher ist es unerlässlich, dass Revolutionäre - nicht nur in den direkt betroffenen Ländern, sondern überall auf der Welt - eine klare und prinzipienfeste Position auf der Grundlage des sozialistischen Internationalismus und Antiimperialismus beziehen.

 

 

 

2.            Dies ist umso wichtiger, als die Eskalation der Spannungen zwischen der NATO und Russland (bzw. ihren Stellvertretern) das erste Mal seit der Verschärfung der Großmächte- Rivalität im letzten Jahrzehnt ist, dass der inner-imperialistische Kalte Krieg in einen Heißen Krieg umschlagen könnte. Er ist daher ein Vorbote für die Zukunft, da ähnliche Eskalationen inner-imperialistischer Konflikte in Zukunft unvermeidlich sind.

 

 

 

3.            Darüber hinaus kann dieser Konflikt - auch wenn er diesmal nicht zu einem Krieg eskaliert - in einem oder mehreren der beteiligten Länder eine schwere innenpolitische Krise auslösen. So kann ein demütigender Ausgang für die ukrainische Regierung zum Sturz der Regierung von Wolodymyr Zelenski führen. Ebenso könnte es die schwerste innenpolitische Situation des Putin-Regimes seit seinem Beginn im Jahr 1999 herbeiführen. Das Gleiche gilt für die europäischen Regierungen oder für die Biden-Administration (die sich bereits in einem fragilen Zustand befindet). Kurzum, der aktuelle NATO-Russland-Konflikt birgt erhebliche politische Konsequenzen für die beteiligten Parteien und ist daher auch für Revolutionäre ein vordringliches Thema.

 

 

 

4.            Wie wir bereits in früheren Erklärungen dargelegt haben, charakterisiert die Revolutionär-Kommunistische Internationale Tendenz (RCIT) beide Lager - sowohl die NATO als auch Russland - als imperialistisch. Daher betrachten wir den Konflikt zwischen diesen Mächten als reaktionär. Dasselbe gilt für den Konflikt zwischen der ukrainischen Regierung und den so genannten "Donbass-Republiken" (d. h. den russisch kontrollierten Gebieten in der Ostukraine), da beide als Handlanger der Großmächte agieren. In all diesen Konflikten müssen Sozialisten beide Seiten als gleichermaßen reaktionär ablehnen.

 

 

 

5.            Die RCIT befürwortet ein Programm gegen den aktuellen NATO-Russland-Konflikt, das auf drei Säulen beruht:

 

 

 

i) revolutionärer Defätismus auf allen Seiten; gegen opportunistische Anpassung an ein reaktionäres Lager; gegen Pazifismus

 

 

 

ii) Anti-Chauvinismus

 

 

 

iii) Befürwortung des Befreiungskampfes und des Antiimperialismus

 

 

 

6.            Die Politik des revolutionären Defätismus sowohl gegen die NATO als auch gegen den russischen Imperialismus bedeutet, jede Unterstützung für die eine oder andere Großmacht abzulehnen. Da Revolutionäre sich weigern, das imperialistische "Vaterland" zu verteidigen, haben sie keinen Grund, alarmiert zu sein, wenn "die NATO sich den russischen Grenzen nähert", wenn "der 'Ruskij Mir' bedroht ist", wenn "Europa vom russischen Gas abhängig ist" oder wenn "Europa keine von Washington unabhängige Außenpolitik hat". Nur sozialimperialistische Patrioten - in Ost und West - sind über solche Fragen beunruhigt. Echte Revolutionäre identifizieren sich in keiner Weise mit solchen Problemen für diese oder jene imperialistische Macht. Wir haben nur ein "Vaterland" und das ist die internationale Arbeiterklasse und die unterdrückten Völker - nicht irgendeine Großmacht!

 

 

 

7.            Die RCIT tritt für eine Politik des Klassenkampfes gegen den imperialistischen Krieg ein. Nieder mit allen Großmächten und ihren Stellvertretern! Revolutionäre arbeiten darauf hin, alle imperialistischen Mächte zu schwächen und schließlich zu zerschlagen. Im Falle eines tatsächlichen Krieges treten wir für die Politik ein, die ihren Ausdruck in dem berühmten Satz von Karl Liebknecht im Ersten Weltkrieg gefunden hat - "Der Hauptfeind steht im eigenen Land" - sowie in Lenins Formel von der "Umwandlung des imperialistischen Krieges in einen Bürgerkrieg".

 

 

 

8.            Einem solchen Ansatz folgend, verurteilen Sozialisten - im Osten wie im Westen - jede Beteiligung von reformistischen Parteien an kapitalistischen Regierungen (z.B. wie PODEMOS, IU und PCE in Spanien). Eine solche Beteiligung ist gleichbedeutend mit der Übernahme von Verantwortung für die imperialistische Aggression. Dies gilt auch dann, wenn solche Parteien - wie die oben erwähnten in Spanien - sich verbal gegen eine solche Aggression aussprechen. Taten sprechen lauter als Worte!

 

 

 

9.            Ebenso verurteilen Revolutionäre alle Ratschläge an imperialistische Regierungen, wie diese eine erfolgreichere Außenpolitik betreiben könnten. Ein Beispiel für eine solche sozial-imperialistische Politik ist der Aufruf der ex-stalinistischen "Partei der Europäischen Linken" (z.B. LINKE in Deutschland, PCF in Frankreich, IU und PCE in Spanien) an die EU-Regierungen, dass "Europa eine unabhängige geopolitische Haltung entwickeln muss". (Erklärung, 25. Januar 2022) Ein weiteres Beispiel ist der Gesetzentwurf der stalinistischen KPRF in der russischen Duma zur formellen Anerkennung der sogenannten "Donbass-Republiken" (dieser Gesetzentwurf wurde inzwischen von der Единая Россия - der Pro-Putin-Regierungspartei "Einiges Russland" - angenommen).

 

 

 

10.          Als Marxisten wissen wir, dass es imperialistische Konflikte und Kriege so lange geben wird, wie der Kapitalismus die Welt beherrscht. Jede Vorstellung von einer "neuen Weltordnung", die auf der "friedlichen Koexistenz" zwischen den Großmächten beruht - die sogenannte "multipolare Weltordnung", die von zahlreichen reformistischen und stalinistischen Parteien befürwortet wird - ist eine reaktionäre Illusion. Dies ist nicht möglich, da es in der Natur der imperialistischen Mächte liegt, ihren Einfluss auf Kosten ihrer Rivalen auszuweiten. Es ist auch nicht wünschenswert, da Sozialisten für eine Welt ohne Großmächte kämpfen und nicht für eine Welt mit vielen Großmächten, in der jede ihren eigenen Einflussbereich hat! Nur ein internationaler Prozess sozialistischer Revolutionen, der zur Schaffung einer globalen Föderation von Arbeiter- und Bauernrepubliken führt, kann eine Welt ohne Krieg und Unterdrückung schaffen!

 

 

 

11.          Aus diesen Gründen verurteilt die RCIT alle Formen des Pazifismus auf das Schärfste. Kriege können nicht dadurch beseitigt werden, dass man die kapitalistischen Regierungen zum Frieden verpflichtet, sondern nur durch die Beseitigung der kapitalistischen Regierungen selbst! Zu diesem Zweck muss sich die Arbeiterklasse bewaffnen, um die herrschende Klasse zu stürzen. Deshalb sagen die Marxisten "Krieg dem Krieg"! Jede Ideologie, die darauf abzielt, falsche Hoffnungen auf eine "friedliche Welt" ohne eine internationale sozialistische Revolution zu schaffen, ist rückständig und schafft nur Illusionen bei den Volksmassen.

 

 

 

12.          Das bedeutet jedoch nicht, dass wir eine Art ultimatistischer Politik befürworten, die den Kampf für unmittelbare Ziele und Reformen ignoriert. Jeder kleine Schritt nach vorn ist eine Fortschritt, wenn er den Feind schwächt und wenn er das Klassenbewusstsein und den Organisationsgrad der Arbeiter und Unterdrückten erhöht! Deshalb müssen Revolutionäre alle konkreten Schritte unterstützen, die die imperialistischen Mächte untergraben. Aus diesen Gründen unterstützen wir in jedem Land den Kampf für den Austritt aus imperialistischen Militärbündnissen wie die westliche NATO oder die von Russland dominierte OVKS. Solche Schritte könnten das Ziel der Zerschlagung von NATO und OVKS näherbringen. Ebenso müssen Sozialisten für die Schließung aller Militärbasen solcher Bündnisse in ihrem Land kämpfen.

 

 

 

13.          Aus dem gleichen Grund lehnen die Sozialisten jede Form von imperialistischen Sanktionen gegen rivalisierende Großmächte ab. Eine solche antiimperialistische Politik hat nichts mit dem reformistischen Ansatz zu tun, irgendwelche imperialistischen Mächte zu beschönigen. Die Verherrlichung Russlands als "friedliche Macht mit legitimen nationalen Interessen" durch verschiedene stalinistische Parteien ist nur ein Beispiel für eine solche reaktionäre Politik. Das Eintreten für eine "starke und unabhängige EU" durch verschiedene europäische "Sozialisten" ist ein weiteres Beispiel.

 

 

 

14.          Unnachgiebiger Widerstand gegen alle Großmächte, gegen alle Formen von Chauvinismus und Sanktionen ist die Voraussetzung für die Schaffung der internationalen Einheit der Arbeiter und Unterdrückten. Es ist die Politik der Großmächte, die die internationale Arbeiterklasse spaltet, indem sie auf die eine oder andere Weise "nationale Einheit", das Scharen um das Banner des "Vaterlandes", usw. predigt. Es ist jedoch nur möglich, die Arbeiter und Unterdrückten über die Grenzen hinweg von unten zu vereinen, gegen jede Einheit mit kapitalistischen Regierungen und im ständigen Kampf gegen alle Formen des "Patriotismus" für das eigene oder ein anderes imperialistisches "Vaterland"!

 

 

 

15.          Außerdem ist es dringend notwendig, dass sich Sozialisten international koordinieren, um gemeinsame Antikriegsaktivitäten zu initiieren. Ein globaler Aktionstag könnte ein erster Schritt in diese Richtung sein. Die Zusammenarbeit mit reformistischen und pazifistischen Kräften ist für solche Zwecke völlig legitim, solange Marxisten ihr unabhängiges Programm behalten.

 

 

 

16.          Unnachgiebige Opposition gegen alle Großmächte und ihre Stellvertreter bedeutet nicht - und darf es auch nicht - Ignoranz gegenüber den Interessen der kleinen Länder und unterdrückten Völker bedeuten. Der Marxismus hat nichts mit nationalem Nihilismus zu tun, der objektiv bloß den Interessen der imperialistischen Mächte dient. Deshalb unterstützt die RCIT die nationalen Befreiungskämpfe der unterdrückten Völker in Ost und West. Der Widerstand der Tschetschenen gegen Russland, des syrischen Volkes gegen den Schlächter Assad und das russische Militär, des malischen Volkes gegen die französischen/europäischen Besatzer, des afghanischen Volkes gegen die amerikanischen Besatzer (bis August 2021), des palästinensischen Volkes gegen Israel oder des kasachischen Volkes gegen das Tokajew-Regime und seinen Herrn in Moskau sind nur einige Beispiele für unser antiimperialistisches Programm. Antiimperialismus ist Pro-Befreiungskampf oder er ist kein Antiimperialismus! Aus diesen Gründen hat die RCIT stets die stalinistischen und verschiedenen zentristischen Kräfte scharf verurteilt, die sich nicht auf die Seite der legitimen demokratischen und nationalen Befreiungskämpfe der unterdrückten Völker stellten.

 

 

 

17.          Daher erkennt die RCIT den legitimen Wunsch des ukrainischen Volkes nach Beseitigung jeglicher Einmischung und Beherrschung durch ausländische Mächte uneingeschränkt an. Um eine wirklich unabhängige Ukraine aufzubauen, dürfen Demokraten und Sozialisten kein Bündnis mit dieser oder jener Großmacht suchen. Den Kampf gegen eine Großmacht mit einem Bündnis mit der rivalisierenden Macht zu verbinden, ist gleichbedeutend mit der Aufgabe der Unabhängigkeit überhaupt. Es bedeutet objektiv, dazu beizutragen, die Ukraine in eine De-facto-Kolonie des westlichen bzw. des russischen Imperialismus zu verwandeln.

 

 

 

18.          Daher müssen Revolutionäre die Losung für eine unabhängige Ukraine erheben, die diese Unabhängigkeit nur als Arbeiterrepublik erreichen kann. Eine solche unabhängige und sozialistische Ukraine würde der russischsprachigen und russischen Bevölkerung im Osten weitestgehende Autonomierechte mit gleichen Rechten in Bezug auf Sprache, Religion, Kultur usw. einräumen. Sie würde auch das Selbstbestimmungsrecht dieser Minderheit respektieren, d.h. dass sie frei wählen kann, ob sie innerhalb eines solchen ukrainischen Staates mit verschiedenen Graden von Autonomie bleiben oder sich von einem solchen Staat trennen will.

 

 

 

19.          Wir respektieren auch den Wunsch des ukrainischen Volkes, sich einer militärischen Invasion des imperialistischen Russlands zu widersetzen, und stimmen dem zu. Das ukrainische Volk wurde die meiste Zeit in den letzten eineinhalb Jahrhunderten von Russland unterdrückt. Es war nur in der Zeit der frühen Sowjetunion zur Zeit von Lenin und Trotzki frei. Trotzki war es, der in den späten 1930er Jahren nach den Erfahrungen mit dem großrussischen Chauvinismus unter der stalinistischen Diktatur die Losung einer unabhängigen sozialistischen Ukraine formulierte. Als Sozialisten lehnen wir eine russische Invasion bedingungslos ab. Umfragen zufolge wäre etwa ein Drittel der ukrainischen Männer bereit, im Falle einer russischen Invasion zu den Waffen zu greifen. Gleichzeitig trauen große Teile der Bevölkerung der Zelenski-Regierung nicht und weigern sich, sich unter ihrem Kommando zu versammeln. Für die Sozialisten ist es von entscheidender Bedeutung zu erklären, dass eine wirkliche Unabhängigkeit der Ukraine und die Verteidigung gegen ausländische Aggressoren nicht unter der Führung einer demoralisierten und korrupten kapitalistischen Regierung erreicht werden kann, die als Stellvertreter für westliche imperialistische Mächte agiert. Der einzige Weg zu wirklicher Unabhängigkeit der Ukraine führt über den Sturz der kapitalistischen Regierung in Kiew und die Schaffung einer Arbeiterrepublik!

 

 

 

20.          Wir halten es für einen schweren Fehler, dass einige ukrainische Sozialisten (wie Social Movement/Commons/Спiлне) die Stationierung von UN-Friedenstruppen im Osten des Landes fordern. Natürlich respektieren und teilen wir ihren Wunsch, einen Krieg zu vermeiden. Aber die Geschichte hat gezeigt, dass die Vereinten Nationen nichts anderes als eine von imperialistischen Großmächten dominierte Institution sind. UN-Truppen setzen entweder die Interessen dieser Räuber durch (z.B. in Haiti) oder sie agieren als zahnlose Attrappen, die der Bevölkerung keinen Schutz bieten können (man erinnere sich an den schändlichen Verrat der niederländischen UN-Truppen in Srebrenica im Juli 1995, der zum Massaker an Tausenden von bosnischen Muslimen führte!) Objektiv betrachtet, und sicherlich entgegen den Absichten der linken Befürworter, ebnet ein solcher Vorschlag nur den Weg für eine Einmischung ausländischer Mächte in der Ukraine. Außerdem ist die Hoffnung auf eine wohlwollende Rolle der UNO auch deswegen eine grobe Illusion, weil Russland im UN-Sicherheitsrat eine Vetomacht ist. Mit anderen Worten: Die Forderung nach UNO-Truppen würde bedeuten, dass sich die Ukraine von Russland abhängig macht. Nur ein unabhängiger Kampf der ukrainischen Arbeiterklasse auf der Grundlage einer Perspektive für eine Arbeiterrepublik kann die wirkliche Selbstbestimmung des ukrainischen Volkes gewährleisten.

 

 

 

21.          Die Sozialisten in Russland können keine passive Haltung einnehmen oder sich auf abstrakte Aufrufe gegen die russische Aggression oder gar auf die Unterstützung des rivalisierenden imperialistischen Lagers beschränken. Die russischen Sozialisten müssen sich Hand in Hand mit anderen internationalen sozialistischen Kräften innerhalb und außerhalb des Landes aktiv gegen die russische Kriegstreiberei stellen, für eine Niederlage Russlands in jedem Krieg eintreten und den sofortigen Abzug der russischen Truppen aus der Ukraine und Syrien fordern.

 

 

 

22.          Die RCIT wiederholt, dass Sozialisten keine richtige Orientierung in der gegenwärtigen Weltlage finden können, ohne den reaktionären Charakter des NATO-Russland-Konflikts und die daraus resultierenden Aufgaben für Revolutionäre zu verstehen. Wir rufen Sozialisten auf, ihre Kräfte zu bündeln und den Aufbau einer internationalen Organisation voranzutreiben, die sich unnachgiebig gegen alle imperialistischen Großmächte stellt und gleichzeitig die legitimen Befreiungskämpfe der unterdrückten Völker bedingungslos unterstützt. Dies ist der einzige Weg, um eine revolutionäre Weltpartei aufzubauen und den Kampf für die internationale sozialistische Revolution voranzutreiben!

 

 

 

 

 

 

 

Gemeinsam beschlossen durch das Internationale Büro der RCIT und die RCIT-Genossinnen  und Genossen in Russland

 

 

 

 

 

 

 

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Wir verweisen die Leser auf eine spezielle Seite auf unserer Website, auf der alle RCIT-Dokumente zum aktuellen NATO-Russland-Konflikt zusammengestellt sind: https://www.thecommunists.net/worldwide/global/compilation-of-documents-on-nato-russia-conflict/