Haben wir eine Wahl? Vor der Bundestagswahl in Deutschland.

Artikel von Manfred Meier, RCIT Deutschland, 20.06.2017, www.diekommunisten.net

 

 

Am 24.September 2017 finden in Deutschland  Bundestagswahlen statt. Die CDU/CSU liegt im Juni laut Umfragen bei 38 Prozent, die SPD dümpelt bei ca. 25 Prozent.

 

Im Superwahljahr 2017 gingen der Bundestagswahl im September drei Landtagswahlen voraus, aus denen allesamt die CDU als stärkste Partei hervorging.

 

Im Saarland hat die CDU gewonnen, ebenso in Schleswig Holstein, beides Mal verbunden mit starken Stimmenverlusten der SPD.

 

Am 14.5.2017 hat die SPD die nächste Niederlage eingefangen und mit 31,5 Prozent das historisch schlechteste Ergebnis in Nordrhein-Westfalen seit 1945. Die CDU kam auf 33 Prozent, was aber auch das zweitschlechteste Ergebnis seit 1945 ist.

 

Der SPD-Kanzlerkandidat Martin Schulz steht heute da wie ein Luftballon, den allmählich die Luft verlassen hat. Kein glaubwürdiges Programm, oder besser gesagt, nur sehr vage Andeutungen kamen von seiner Seite. Einige Wochen nach seiner Wahl zum Kanzlerkandidat hatte es stark gestiegene Umfragewerte für die SPD und ihren neuen Spitzenkandidaten gegeben, aber dieser sogenannte „Schulz-Effekt“ verschwand wie er gekommen war.

 

Die SPD hatte ja in den ersten Schulz-Monaten einen „Hype“ zu verzeichnen. Tausende traten neu ein und in den Umfragewerten überholte die SPD die CDU. Schulz selbst zog kurzzeitig mit Merkel gleich in den Beliebtheitsumfragen.

 

Doch Schulz hatte außer einigen gesprochenen Textbausteinen nur vage Aussagen zu seinem Wahlprogramm zu machen. Er versuchte sich als „Anwalt der kleinen Leute“ darzustellen, der versteht und zuhört, mit schwerer Kindheit und menschlichen Schwächen. Aber nicht ohne Grund  steht die SPD im Verdacht, in der Regierung mehr der „Anwalt der großen Leute“ zu sein.

 

Schulz ist Sinnbild der Schwächen der SPD

 

Nur da kam nichts Konkretes zu den drängenden Problemen gerade der Masse der arbeitenden Menschen, der Arbeitslosen, der Jugend. Sie wollten klare Aussagen zu den Armutsrenten, zu Löhnen, von denen man nicht leben kann. Billig von Schulz zu behaupten, die Landesverbände hätten ihn gebeten, auf Wahlkampfveranstaltungen keine bundespolitischen Themen anzuschneiden, das klingt ganz nach Ausrede. Und selbst wenn diese Ausrede auf wahrer Grundlage steht: Die Interessen der arbeitenden Menschen, der Arbeitslosen und Jugendlichen wollen mit Konsequenz vertreten werden. Wenn der „Anwalt der kleinen Leute“ ohne ein klares Programm gegen weiteren Sozialabbau auftritt, dann stimmen seine Unterstützer schnell mit den Füßen ab. Symbolisch für das Versagen der SPD, dass sich ihr Spitzenkandidat noch nicht einmal in der zentralsten Wahlkampfzeit zu konkreten Wahlversprechen durchringen konnte. 

 

Der inzwischen herausgegebene Entwurf des Parteiprogramms der Sozialdemokraten 2017 ist ein Torso, er enthält nur wenige konkrete Aussagen. Ein weiterer Beweis für die Beschränktheit der Parteien in der bürgerlichen Demokratie. Ihre Programme dürfen bestimmte Grenzen nicht überschreiten, die ihnen vom kapitalistischen System gesetzt werden.

 

Parlamentarische Demokratie gehört aber heute zum „Markenkern“ imperialistischer Staaten, gerade der EU, und insbesondere des deutschen Imperialismus, der inzwischen als Gralshüter von parlamentarischer Demokratie und Menschenrechten unterwegs ist.

 

Ein herausragender Mangel ist der Ausschluß von Menschen ohne deutsche Staatsbürgerschaft von Wahlen auf lokaler, Landes und Bundesebene.

 

 

Das einzig konkrete Versprechen ist mehr Repression

 

 

An der inhaltlichen Armut der Schulz-Kandidatur hat sich nichts geändert, nachdem Mitte Mai 2017 der Entwurf des Wahlprogramms veröffentlicht wurde. Gerade 20 Zeilen im Programm, dazu eine Pressekonferenz zu diesem Thema, die verspricht, dass es mit der SPD nicht schlimmer werden soll, heisst erstmal kein erhöhtes Renteneintrittsalter.

 

Am 19.6. stellte Schulz (mit Scholz und Schäfer-Gümpel) sein Steuerkonzept vor. Einige Änderungen im Steuergefüge, keine Vermögenssteuer, das nennt sich dann soziale Gerechtigkeit. Der Spitzensteuersatz soll auf 45 Prozent steigen, ab 76.200 Euro zu versteuerndem Einkommen. Die sogenannte Reichensteuer soll ab 250.000 Euro 48 Prozent betragen. Bis 1999 waren das 53 Prozent.

 

An die Mehrwertsteuer, die ja gerade einen großen Teil der Ausgaben von Geringverdienern ausmachen, traut sich Schulz nicht heran.

 

Bei der Vergrößerung des Staatsapparates wird die SPD ungewohnt konkret und verspricht dem Wähler 15.000 neue Stellen bei der Polizei, erläutert in 163 Zeilen. Den Repressionsapparat ausbauen, da hat die SPD dann schon klare Vorstellungen.

 

Zu Problemen von Menschen mit Migrationshintergrund kam von Schulz auch kaum etwas, stattdessen wiederholte er Parolen von CDU und AFD über den Missbrauch „unserer Gastfreundschaft“. Viele Migrantinnen und Migranten wie auch Flüchtlingshelfer und alle fortschrittlichen Aktivisten waren spätestens an diesem Punkt der Schulz-Manie ernüchtert.

 

Das Wahlprogramm gibt nur die aktuellen Regierungspositionen wieder.

 

Fazit: die Wahlschlappen im Frühjahr hat sich die SPD redlich verdient, gerade in NRW.

 

 

 

Die Ergebnisse der anderen bürgerlichen Parteien in den Landtagswahlen

 

 

Die CDU hat in den Landtagswahlen hauptsächlich der SPD Wählerstimmen abgenommen. Der Wechsel von Wählern zur AFD ist relativ gering.

 

Die FDP wird wieder stärker in Schleswig Holstein (SH) mit 11,5 Prozent und in NRW mit 12,2 Prozent.

 

Die Grünen sind im Saarland raus, in NRW sind sie mit 6,4 Prozent eingebrochen. In SH hatten sie 12,9 Prozent dank ihres Zugpferdes Habeck, Umweltminister der inzwischen abgewählten Rot-Grünen Landesregierung.

 

AfD

 

Die AfD sitzt 2017 in drei neuen Landtagen: 6,2 Prozent im Saarland, in SH hat sie 5,9 Prozent, in NRW 7,5 Prozent. Damit sitzen Sie nun in 13 Länderparlamenten, aber 2017 sind sie nicht mehr zweistellig. Die AfD befindet sich nach wie vor in einem Richtungskampf, in dem sich zunehmend der nationalistische Flügel durchzusetzen scheint.

 

Teile der Teile AfD wollen den wirtschaftsliberalen Flügel loswerden, um stärker soziale Demagogie zu betreiben. So gibt es schon Ansätze zu eigenen Maikundgebungen und eigenen Gewerkschaften. In Dresden gab es dieses Jahr am 1.Mai eine gemeinsame Veranstaltung mit Pegida. In Erfurt z.B. gab es eine 1. Mai Demonstration der AfD mit Björn Höcke an der Spitze. Das vor dem Hintergrund einer verstärkten Aktivität der AfD in der „sozialen Frage“. Es ist nicht überraschend, dass eine AfD erkennt, dass sie mehr Chancen bekommt auf Wählerstimmen wenn sie sich weniger wirtschaftsliberal gibt.

 

Eine Auswertung der Wahlen in NRW zeigt, dass die AfD bei Arbeitern 18 Prozent hinzugewonnen hat, bei Angestellten 6 Prozent, bei Arbeitslosen 12 Prozent und bei Selbstständigen 7 Prozent. Die SPD hat bei Arbeitern und Angestellten jeweils 8 Prozent verloren, die LINKE hat nur 3 Prozent gewonnen.

 

Der erfolgreiche Stimmenfang der AfD gerade in den Reihen der Arbeiterklasse ist ein Abstrafen der inkonsequenten Politik der LINKEN und der SPD. Ein solches Abstrafen is ebenso die Stärkung des bürgerlichen Lagers.

 

Das sogenannte bürgerliche Lager kommt nun wieder auf bis zu 55 Prozent. Zu absoluten Mehrheiten reicht das aber nicht, so dass eine starke Tendenz zu großen Koalitionen bestehen bleibt.

 

 

 

Die LINKE

 

Die LINKE hat 12,8 Prozent im Saarland, in SH ist sie raus, in NRW hat sie 4,9 Prozent. Immerhin hat die LINKE ihre Wählerstimmen verdoppelt, hat aber aufgrund der weniger starken Zugewinne in den ländlichen, katholisch geprägten Wahlkreisen den Einzug ins Landesparlament verpasst.

 

Noch ein Blick auf die Ergebnisse in einigen Städten, denn im Ruhrgebiet hatte die AfD teilweise starke Gewinne.

 

 

Als Beispiel für den Wahlausgang in einem städtischen Wahl-Bezirk im Ruhrgebiet nehmen wie den Wahlkreis 75 Gelsenkirchen II. Das Wahlergebnis sah folgendermaßen aus:

 

Mit den Erststimmen wurde gewählt:  Sebastian Watermeier,(SPD) mit 42,6 Prozent der gültigen Stimmen

 

SPD

CDU

GRÜNE

FDP

PIRATEN

DIE LINKE

AfD

ANDERE

42,6%

25,6%

3,6%

7,0%

6,2%

13,9%

1,1%

 

 

 

Wahlbeteiligung

Zweitstimmenanteil

SPD

CDU

GRÜNE

FDP

PIRATEN

DIE LINKE

AfD

ANDERE

55,2%

37,5%

22,2%

4,0%

8,6%

1,0%

5,4%

15,2%

6,1%

Veränderung gegenüber der Landtagswahl 2012

+5,2

-12,5

+5,2

-4,5

+4,4

-7,9

+1,8

X

-1,6

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Die Ergebnisse im Detail

 

Merkmal

Landtagswahl am 14.05.2017

Zum Vergleich:
Landtagswahl am 13.05.2012

Erststimmen

Zweitstimmen

Erststimmen

Zweitstimmen

Differenz des
Zweitstimmen-
anteils in
%-Punkten

Anzahl

%

Anzahl

%

Anzahl

%

Anzahl

%

Wahlberechtigte insgesamt

79 860

100,0

79 860

100,0

83 961

100,0

83 961

100,0

X

Wähler/-innen insgesamt

44 048

55,2

44 048

55,2

41 977

50,0

41 977

50,0

X

Ungültige Stimmen

952

2,2

607

1,4

810

1,9

686

1,6

X

Gültige Stimmen

43 096

100,0

43 441

100,0

41 167

100,0

41 291

100,0

X

SPD

18 350

42,6

16 272

37,5

23 271

56,5

20 644

50,0

-12,5

CDU

11 046

25,6

9 665

22,2

8 331

20,2

7 036

17,0

+5,2

GRÜNE

1 565

3,6

1 736

4,0

2 500

6,1

3 519

8,5

-4,5

FDP

3 013

7,0

3 715

8,6

1 182

2,9

1 707

4,1

+4,4

PIRATEN

444

1,0

4 155

10,1

3 703

9,0

-7,9

DIE LINKE

2 657

6,2

2 344

5,4

1 728

4,2

1 504

3,6

+1,8

NPD

243

0,6

318

0,8

-0,2

Die PARTEI

298

0,7

102

0,2

+0,4

FREIE WÄHLER

174

0,4

54

0,1

+0,3

BIG

414

1,0

308

0,7

+0,2

ÖDP

39

0,1

31

0,1

0

Volksabstimmung

61

0,1

X

TIERSCHUTZliste

458

1,1

X

AD-Demokraten NRW

205

0,5

X

AfD

6 003

13,9

6 611

15,2

X

DKP

18

0

X

ZENTRUM

12

0

X

DIE RECHTE

36

0,1

X

REP

84

0,2

X

MLPD

462

1,1

251

0,6

X

 

 

X = Tabellenfach gesperrt, da Aussage nicht sinnvoll.
— = nichts vorhanden (genau null)

 

1)      Vergleichsergebnisse früherer Wahlen sind im Merkmal "Sonstige" enthalten.

 

 

 

 
 

 

Nach den Bundestagswahlen: Große Koalition oder...?

 

 

Wenn wir einen Ausblick auf die Bundestagswahl machen, dann kommen wir zu folgenden Feststellungen:

 

·         Vieles könnte auf eine Fortsetzung der Großen Koalition hinauslaufen

 

·         Rot-Rot-Grün wird nicht stattfinden

 

·     Die AfD wird in den Bundestag einziehen und Stimmen des rechten Spektrums einsammeln

 

·         Es gilt eine kritische Wahlunterstützung für die LINKE zu geben

 

Der LINKEN gelang es bisher nicht, sich als führende Kraft in sozialen Kämpfen sichtbar zu machen. Das kann nur passieren, wenn sie sich in Arbeitskämpfen stark macht, und die Organisierung der Arbeiter, Jugendlichen und Migranten vorantreibt. Auch wenn es gegen den Willen der Gewerkschaftsführungen geht. Ebenso sind enge Verbindungen in die Gewerkschaften, da vorallem die Basis zu schaffen.

 

Für die LINKE wird es sowieso knapp, in den Bundestag zu kommen und das sollte auch nicht ihre Hauptsorge sein. Sie muss ihre Orientierung komplett auf die Arbeiterklasse legen und die Unterdrückten. Die LINKE muss sich folgendermaßen ändern:

 

·         Die LINKE muss für ArbeiterInnen/Angestellte sowie alle Unterdrückten wählbar werden, ihnen eine Stimme geben, nicht nur umgekehrt.

 

·         Alle Angriffe auf die Rechte von Flüchtlingen sowie alle rassistischen Tendenzen aus der LINKEN sind einzustellen. Allen Versuchen einer Querfrontpolitik in der Flüchtlingsfrage (siehe Wagenknechts Angriffe auf Flüchtlinge) ist eine klare Absage zu erteilen. Stattdessen gilt es für die Öffnung der Grenzen, das uneingeschränkte Bleiberecht und die volle Gleichberechtigung in allen Lebensbereichen zu kämpfen.

 

·         Forderungen nach mehr Personal für Polizei und Geheimdienste sind ein Skandal! Alle fortschrittlichen Aktivisten der LINKE müssen gegen jede Sympathie der LINKE PolitikerInnen mit dem Repressionsapparat vehement auftreten!

 

·         Jede Unterstützung bzw. Sympathie der LINKE für die Politik imperialistischer Mächte und für Schlächter unterdrückter Völker wie Assad ist ebenso mit aller Kraft zu bekämpfen!

 

·         Wir rufen auf, die LINKE zu wählen, sie kritisch zu unterstützen. Sprich: Für ein Programm gegen Sozialabbau, für ein öffentliches Beschäftigungsprogramm und volle Gleichberechtigung für MigrantInnen kämpfen. Demonstrationen und Streiks für diese Forderungen und darüberhinaus sind notwendig.

 

·         Wir fordern die LINKE auf, zu entsprechenden Protesten und Aktionen aufzurufen.

 

·         Ein linker Flügel in der LINKEN muss aufgebaut werden, der sich für eine konsequente Umsetzung dieser Forderungen einsetzt. Dazu gehört auch die Bereitschaft eines Bruchs mit der Führung der LINKEN, wenn sie sich weigert die Forderungen umzusetzen. Daraus kann sich eine Neue Arbeiterpartei entwickeln.

 

·         Letztlich ist unserer Meinung nach eine Arbeiterpartei nur fähig die Interessen der Arbeiter und Unterdrückten umzusetzen, wenn sie  auf Grundlage eines revolutionären Programms handelt.

 

 

Fußnote:

Aufschlußreich ist auch ein Blick auf die Wahlergebnisse der Nachkriegszeit in NRW. Stören wir uns mal nicht daran, dass die LINKE in eine historische Reihe mit der KPD gesetzt wird und unter DL=Diverse Linke zuletzt die Piraten eingereiht werden, so kann man doch sehen. Dass SPD und CDU langfristig Federn lassen mussten.